Trying Babylon

Das Jugendmusiktheater des Kulturzentrums COBRA Solingen

Internet – Revolution ! Das Demokratische Netz?

Lina Ben Mhenni - Internetaktivistin aus Tunesien

 

Interview mit Jan-Hinrik Schmidt[1]

Trying Babylon: Herr Schmidt, das Jugendtheaterensemble Trying Babylon nimmt sich dem Thema der Arabellion, dem Freiheitskampf in der arabischen Welt an. Trommeln der Freiheit wird das Stück heißen, was die Schülerinnen und Schüler zusammen erarbeiten. Der arabische Freiheitskampf, ausgehend von Tunesien, wird ja mitunter auch als Facebook-Revolution bezeichnet. Führen Internet, Facebook, Twitter und co. zu mehr Demokratie in der Welt?

J-H Schmidt: Als sich das Internet in den frühen 1990er Jahren aus den akademischen und militärischen Kreisen hinaus gesellschaftlich verbreitete, standen seine Auswirkungen auf die Verbreitung von Informationen im Vordergrund. Gleichzeitig waren die digitalen Medien aber auch schon früh mit Hoffnungen auf den Abbau von Informationsungleichheiten und eine Belebung demokratischer Diskurse verbunden. Das Internet der Gegenwart ist kein reines Abruf- und Transaktionsmedium mehr, sondern bietet die Infrastruktur für „soziale Medien“, die Partizipation und Teilhabe erleichtern. Es ist zum social web geworden.

Trying Babylon: Was genau ist unter diesem social web zu verstehen?

J-H Schmidt: Unbestritten ist zunächst, dass sich die sozialen Medien in den vergangenen fünf Jahren im Alltag vieler Internetnutzer etabliert haben. Aus Sicht des Einzelnen senken sie die technischen Hürden, sich mit seinen eigenen Interessen, Meinungen oder Erlebnissen zu präsentieren und sich darüber mit anderen Menschen auszutauschen. Zudem stellen sie Werkzeuge und Mechanismen zur Verfügung, Informationen aller Art zu recherchieren, zu filtern, gemeinsam mit anderen zu bearbeiten und weiterzuverbreiten.

Trying Babylon: Was folgt daraus?

J-H Schmidt: Auf dieser Grundlage bringen die sozialen Medien einen neuen Typ von Öffentlichkeit hervor, der sich als „persönliche Öffentlichkeit“ bezeichnen und in verschiedener Hinsicht von den Öffentlichkeiten der publizistischen (Massen-)Medien abgrenzen lässt.

Trying Babylon: Inwiefern?

J-H Schmidt: Erstens werden Informationen in persönlichen Öffentlichkeiten vorrangig nach dem Kriterium der persönlichen Relevanz ausgewählt und miteinander geteilt, nicht nach der den professionell-journalistischen Standards von Nachrichtenwert und gesellschaftlicher Relevanz. Zweitens adressieren Nutzerinnen und Nutzer ihr eigenes erweitertes soziales Netzwerk, das sich in den bestätigten Facebook-Kontakten oder den followers auf Twitter ausdrückt, nicht das unspezifische, verteilte und unbekannte Massenpublikum, das der professionelle Journalismus bedient. Drittens ist schließlich aufgrund der interaktiven Optionen, welche die meisten sozialen Medien bieten, die Kommunikation stärker auf den Modus „Konversation“, also auf den wechselseitigen Austausch und Dialog ausgerichtet, als auf das eher einseitige Publizieren.

Trying Babylon: Droht da nicht die Gefahr, dass die Menschen mehr in ihren persönlichen Öffentlichkeiten verbleiben und somit die konventionellen Massenmedien mit ihren journalistisch fundierten Informationsangeboten den Rücken kehren?

J-H Schmidt: Publizistische verlieren durch das Aufkommen der sozialen Medien nicht zwangsläufig an Bedeutungen. Nach wie vor sind sie es, die nach etablierten Kriterien sowie institutionell gesichert und auf Dauer gestellt das gesellschaftlich als relevant Erachtete auswählen und verteilen. Die Konversationen in den persönlichen Öffentlichkeiten machen allerdings die Anschlusskommunikation des Publikums sichtbar, die auf journalistisch gesetzte Themen folgt und eine wichtige Rolle für Meinungsbildung und gesellschaftliche Einordnung dieser Themen spielt.

Trying Babylon: Hier kommen wir zur arabischen Revolution, denn genau dass scheint uns der springende Punkt zu sein. Die vernetzte Jugend in Tunesien oder Ägypten scheinen hier ihren Raum gefunden zu haben, konnten sie doch jenseits kontrollierter Massenmedien ihre Sicht der Dinge einer Weltöffentlichkeit präsentieren.

J-H Schmidt:  Das Medientechnologien eine wichtige Rolle für den Ablauf politischer Proteste spielen, ist zwar nicht neu: Das sich entwickelnde Zeitungswesen, aber auch Flugblätter und Karikaturen waren entscheidende Träger von Öffentlichkeit für die Französische Revolution. Inzwischen haben sich die Werkzeuge, um politische Forderungen zu verbreiten, Gleichgesinnte zu mobilisieren und Aktivitäten zu koordinieren, aber ganz offensichtlich weiterentwickelt. Die Protestöffentlichkeit wurde transnational: Auch in Deutschland konnte jeder, der wollte, die Proteste auf dem Tahir-Platz in Kairo oder dem Platz des 7. November in Tunis buchstäblich live verfolgen und sich unter Umständen sogar selbst als Multiplikator fühlen. Diese Form der politischen Teilhabe auch über Grenzen hinweg war in der Tat neu.

Trying Babylon: Also doch eine Revolution für mehr Freiheit dank Internet?

J-H Schmidt: Das Internet und die sozialen Medien können schwerlich als Ursache der Proteste angesehen werden – diese sind vielmehr in Faktoren wie hoher  , grassierende Korruption und steigenden Lebenshaltungskosten zu suchen. Zudem ist das Internet nur Teil einer umfassenderen und komplexen Medienlandschaft. So war in Ägypten beispielsweise das Fernsehen eine wichtige Informationsquelle, wenn gleich mit ganz unterschiedlichen Ausrichtungen: Die staatlichen und privat kontrollierten Fernsehstationen versuchten die Lage herunterzuspielen, während der transnationale Sender Al-Jazeera, vor allem durch Rückgriff auf die sozialen Medien, im wörtlichen Sinn ein „Kontrastprogramm“ bot. Hinzu trat die interpersonale Kommunikation über Mobiltelefone und SMS, die allerdings ähnlich wie die Internetkommunikation immer auch die Gefahr der Überwachung und Kontrolle birgt. So kappte die ägyptische Regierung in einem verzweifelten Versuch, die Oberhand über die Kommunikationsströme zu gewinnen, sowohl einen Großteil der Internetzugänge als auch der Mobilfunknetzwerke.

Trying Babylon: Das heißt aber doch letztlich, dass eine freiheitliche und demokratische Nutzung der sozialen Medien vom Goodwill derjenigen abhängig ist, die die Kontrolle der Netze ausüben, oder?

J-H Schmidt: In einem ganz wesentlichen Punkt steht die Debatte über die Folgen der digitalen Medien für demokratische Teilhabe erst am Anfang: Begreift man die sozialen Medien als Kommunikationsraum, in dem sich vernetzte Öffentlichkeiten formieren, muss auch über die Teilhabe an dessen Gestaltung nachgedacht werden. Bislang sind vor allem die Plattformbetreiber und Softwareentwickler die Architekten der neuen Kommunikationsräume. Sie programmieren den Software-Code und damit die Optionen und Restriktionen, die den Nutzerinnen und Nutzern zur Verfügung stehen. Filter- und Aggregationsalgorithmen können in den Dienst von Überwachung oder Zensur gestellt werden.

Trying Babylon: Wenn Siw dass so sagen, drängt sich mir sofort die Frage auf, ob wir die Technologie nicht selbst in dem Sinne „demokratisieren“ müssen, dass wir über sie auch eigenmächtig verfügen können. Hab ich Sie da richtig verstanden?

J-H Schmidt: Die Frage nach Teilhabe und Gestaltung der sozialen Medien ist deswegen so drängend, weil es sich um Infrastrukturen für gesellschaftliche Öffentlichkeit, aber eben nicht um öffentliche Infrastrukturen handelt. Mit Ausnahme von Wikipedia sind die dominierenden Plattformen des social web im Besitz von Unternehmen und Betrieben. Ihre Geschäftsmodelle beruhen vielfach darauf, gegenüber Werbetreibenden die Daten oder Aktivitäten der Nutzenden zu vermarkten. Es ist offen, inwiefern eine gesellschaftliche Mehrheit auf Dauer damit einverstanden sein wird, dass an solch zentraler Stelle von Mediennutzung nicht nur eine Einschränkung ihrer informationellen Selbstbestimmung droht, sondern auch eine Machtfülle entsteht, der keine ausreichende demokratische Legitimierung und Kontrolle entgegensteht. Wirklich demokratisch kann das Netz daher nur sein, wenn auch die Gestaltung der zugrunde liegenden Technologien offen für Mitbestimmung und Teilhabe ist.

Trying Babybon: Das wäre dann noch einmal eine ganz andere Bedeutung von Internet-Revolution. Herr Schmidt, wir bedanken uns für das Gespräch.

(1) Anmerkung:

Jan-Hinrik Schmidt ist wissenschaftlicher Referent für digitale interaktive Medien und politische Kommunikation am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung Hamburg.

Das Interview beruht auf einen Text aus APuZ – www.bpb.de/apuz-, 7/2012, 13.02.2012, S. 3-8

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