Trying Babylon

Das Jugendmusiktheater des Kulturzentrums COBRA Solingen

Jüdischer Friedhof

Gesamtschule Solingen – 24 Jahre Arbeitsgemeinschaft Jüdischer Friedhof

Jüdische Friedhöfe sind auf Ewigkeit angelegt, jedes Grab ist für unbegrenzte Zeit Eigentum des Toten. Die Arbeitsgemeinschaft Jüdischer Friedhof scheint dieser Zeitvorgabe zu folgen, wie sonst ist zu erklären, dass sie sich seit nunmehr 24 Jahren der Pflege des “Guten Ortes“, wie man den Friedhof auch nennt, widmet.

Entstehung der Arbeitsgemeinschaft

Die Entstehung der Arbeitsgemeinschaft ist untrennbar mit der Aufnahme der Städtepartnerschaft zwischen Solingen und Ness Ziona (Israel) verbunden, als Initiatoren sind Gerd Kaimer, Armin Alfermann und Wilhelm Bramann hervorzuheben.

In der im Juni 1987 von Bürgermeister Nissan Krupsky (Ness Ziona) und Oberbürgermeister Gerd Kaimer  in Solingen unterzeichneten Partnerschafts-Urkunde heißt es:

„Mit dieser Partnerschaft möchten wir einen Baum der Freundschaft pflanzen, der die leidvolle Vergangenheit der Juden während der

nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland nicht verdecken kann, der aber ein Zeichen der Hoffnung und Mahnung zugleich sein kann.“

Geistiger Vater der Idee, eine Schulpartnerschaft für den jüdischen Friedhof ins Leben zu rufen, war der 1998 verstorbene Fotojournalist Armin Alfermann.

Als Armin Alfermann im Herbst 1997 dem Oberbürgermeister den Vorschlag unterbreitete, trat dieser an die Leitung der Gesamtschule Solingen (der Friedhof liegt im Einzugsbereich der Schule!) heran mit der Frage, ob die Bereitschaft zur Übernahme einer Patenschaft über den jüdischen Friedhof bestehe.

Hier musste nicht lange überlegt werden. Wie hatte Bürgermeister Krupsky formuliert?

         „Ich glaube, wir haben die Pflicht, unsere Kinder zu mehr Toleranz

         zwischen Menschen und Völkern und Staaten zu erziehen.“

Hier war eine Gelegenheit geboten, junge Menschen unmittelbar an diese Aufgabe heranzuführen.

Wilhelm Bramann – in den Jahren 1986-1990 Lehrer an dieser Schule – rief eine Arbeitsgemeinschaft ins Leben und nahm die Arbeit auf, zunächst mit Schülerinnen und Schülern des damaligen 6. Jahrgangs. Mittlerweile sind Schülerinnen und Schüler aller Altersstufen, selbst der gymnasialen Oberstufe, in der AG tätig geworden.

Am 1. August 1990 ging die Leitung der Arbeitsgemeinschaft auf Michael Sandmöller über.

 

Arbeitsschwerpunkte

Von vornherein wurden drei Arbeitsschwerpunkte fixiert:
– Pflegearbeiten auf dem Friedhof
– Korrespondenz mit emigrierten Solinger Juden bzw. deren Nachkommen
– Beschäftigung mit dem Thema ‚Juden und Deutschland‘
Ein weiterer Schwerpunkt kam später hinzu:
– Schulpartnerschaft und Schüleraustausch mit der Junior High School ‘Menachem Begin‘ in Ness Ziona/Israel

Der Schüleraustausch konnte bislang neun Mal durchgeführt werden.

Die Planungen für den zehnten Austausch, der für Dezember 2013 in Ness

Ziona und für das Frühjahr 2014 in Solingen vorgesehen ist, werden in Kürze beginnen.

Zu 1: Pflegearbeiten

Die Friedhofspflege gehört nach wie vor zu den Hauptaufgaben der Arbeitsgemeinschaft. Von März bis Ende November besuchen die Mitglieder der AG Woche für Woche den Friedhof, um die letzte Ruhestätte ehemaliger jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger zu pflegen. Mit den Pflegearbeiten „wird der jüdische Friedhof ganz konkret auch physisch und sichtbar erhalten und für diejenigen bewahrt, denen er gehört und denen er gehören würde, gäbe es eine deutsch-jüdische Kontinuität“, so Prof. Michael Brocke in seinem Vorwort zur im Jahre 2000 erschienenen Veröffentlichung der Solinger Geschichtswerkstatt zur Geschichte jüdischen Lebens in Solingen: “…daß ich die Stätte des Glückes vor meinem Tode verlassen müßte“.

 

Zu 2: Korrespondenz

Die Überlegung, nicht nur zu den Toten eine Beziehung zu entwickeln, sondern auch zu den noch Lebenden, begründete einen weiteren Arbeitsschwerpunkt der Arbeitsgemeinschaft und leitete einen umfangreichen Briefkontakt mit emigrierten Solinger Juden bzw. deren Nachkommen ein, „…so dass die Vergangenheit gar nicht stumm bleibt, sondern ihre Steine zu sprechen beginnen und sogar andere Menschen heute zum Sprechen bringen können.“ (Prof. Brocke, a.a.O.)

Mit Briefpartnern aus New York und Florida (USA), Lissabon (Portugal), Brüssel (Belgien), Stockholm (Schweden), London (England), Sao Paulo (Brasilien), Kingston (Australien), Rehovot und Ness Ziona (Israel), München und Hilden standen bzw. stehen die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft in Verbindung.

 

Im Sommer 1988 wurde die Korrespondenz mit einem Brief an Frau Ilse Shindel geb. Leven eröffnet. Zahlreiche Briefe folgten. Aus der Vielzahl der Briefe, die mittlerweile drei Aktenordner füllen, hier nur zwei Zitate:

         „Sie haben mir mit ihren Zeilen den Glauben an die Menschen wiedergegeben.“ (Ilse Shindel, London)

„Sie retten in Ehre das Andenken ihrer verstorbenen Mitbürger und was Edleres kann man sich kaum vorstellen.“

         (Hanna Feist-Wechselblatt, Stockholm)

Zu ersten persönlichen Kontakten kam es im Jahre 1990: Die Stadt Solingen hatte ehemalige jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger für die Zeit vom

07. bis 12. Oktober zu einer Begegnungswoche nach Solingen eingeladen.

Weitere persönliche Begegnungen folgten, sowohl in Solingen (Ehepaar Reiche, Ehepaar Feist-Wechselblatt, Ehepaar Feist, Karola Schlussel) als auch in London (Ilse Shindel), in Brüssel (Karola Schlussel) und in Israel (Elly Parran).

 

Zu 3: Juden und Deutschland

In einem dritten Arbeitsschwerpunkt befasst sich die Arbeitsgemeinschaft mit dem Thema ‘Juden und Deutschland‘, insbesondere fragt sie nach dem Schicksal der Solinger Juden.

So ermittelte sie die zuvor unbekannte Grabstätte des Redakteurs Max Leven, der in der Pogromnacht 1938 von Nationalsozialisten ermordet wurde. Die Stadt Solingen reagierte auf diese Entdeckung mit der Errichtung eines Grabsteins. Auf Grabstätten von Familienangehörigen der in den Jahren 1941-44 depor-

tierten Solinger Juden wurden auf Veranlassung der AG von der Friedhofsverwaltung Metalltafeln angebracht, die das Schicksal der Opfer dokumentieren.

Ihre Namen verbleiben nicht in der Anonymität, das Schicksal ihres gewaltsamen Todes wird den Besuchern nachhaltig ins Bewußtsein getragen – Erinnerung und Mahnung zugleich! Somit hat sich der jüdische Friedhof zu einem außerschulischen Lernort Solinger Stadtgeschichte entwickelt, der uns auf zahlreichen Spuren in die Schreckenszeit des Holocaust führt.

Dieser Arbeitsschwerpunkt hat im Zuge aktueller Auseinandersetzungen mit Fragen des Antisemitismus und verbreiteter Fremdenfeindlichkeit zunehmend an Bedeutung gewonnen.

 

 

Mitarbeit in der AG Jüdischer Friedhof

Für die Jahre 1988 bis 2012 kann die AG Jüdischer Friedhof auf eine Mitgliederzahl von ca. 300 aktiven Schülerinnen und Schülern aus allen Jahrgangsstufen zurückblicken. War bei manchen die Mitarbeit nur von kurzer Dauer, so zeig(t)en andere ein über längere Jahre anhaltendes Engagement.

 

Es ist schon erstaunlich, wie es immer wieder gelingt, junge Schülerinnen und Schüler für diese ‘exotische‘ Arbeitsgemeinschaft zu gewinnen, die von ihren Mitgliedern über die schulischen Verpflichtungen hinaus Zeit und Engagement verlangt – ein ermutigendes Zeichen in einer Zeit, in der den Jugendlichen immer wieder Desinteresse und Gleichgültigkeit vorgehalten werden.

Das selbst gewählte Motto der AG lautet:

“Wir wollen dafür eintreten, dass nicht mehr Unverständnis und Hass,sondern Verständnis und Liebe unser Verhalten den Mitmenschen gegenüber bestimmen.“

Allen ehemaligen und noch immer aktiven Schülerinnen und Schülern gebührt große Anerkennung und ein herzliches Dankeschön für ihre freiwillig und mit vorbildlichem Einsatz geleistete Arbeit.

 

Motive

Es mag die Frage aufkommen, was junge Menschen bewegt, freiwillig in einer Arbeitsgemeinschaft mitzuarbeiten, die sich die Pflege eines alten jüdischen Friedhofs zur Hauptaufgabe gesetzt hat und sich zudem der Korrespondenz mit emigrierten Solinger Juden widmet – Aufgaben, die zeitintensiv sind, Einsatz und Engagement verlangen. Einige Mitglieder der AG zu ihrer Motivation befragt, gaben folgende Antworten:

 

Sarah G. (Klasse 7)

Die Geschichte der Juden hat mich schon immer interessiert und ich habe schon viele Bücher darüber gelesen. In der AG hoffe ich noch mehr zu erfahren. Der andere Grund ist, dass ich auch gern mal im Garten arbeite und auch gerne an der frischen Luft bin.

 

Tordis M. (Klasse 7)

Ich bin in der AG aktiv, weil ich etwas über die Geschichte der Juden erfahren will. So etwas wie in der Vergangenheit darf nie wieder vorkommen.

 

Daniel C. (Klasse 10)

Ich bin Mitglied der AG Jüdischer Friedhof, weil ich etwas über die Geschichte und Kultur des Judentums lernen möchte. Außerdem sind wir die Generation, die sich dafür einsetzen muss, dass so etwas wie in der Vergangenheit mit den Juden geschehen nie wieder passiert. Durch den Israel-Austausch habe ich viel über die Geschichte der Juden gelernt.

 

Henning N. (Klasse 10)

Jüdischer Friedhof: Mehr als nur tote Steine! Schon zu meiner Kindheit wurde ich im Elternhaus über den Holocaust aufgeklärt. Besonders tief ist mir das Buch “Rosa Weiss“ mit seinen tristen Bildern in Erinnerung geblieben.

Meine Schwester Natascha erzählte zu Hause oft von der AG, in der sie seit der 8. Klasse mitwirkte.

Nach einigen Besuchen auf dem Friedhof wuchs das Interesse an den Geschichten des Solinger Holocaust, an den Geschichten der Menschen, die auf dem jüdischen Friedhof beerdigt liegen, an deren Verwandten und Freunden, die emigriert sind, in alle Länder dieser Welt.

Der Briefkontakt zu den ehemals in Solingen lebenden Juden wirkte beeindruckend, aus den Erzählungen bekam ich ein Bild von Solingen, das ich noch nicht kannte, einen Einblick in die Schicksale der Juden in Solingen.

Der Briefkontakt wurde lebendig durch Besuche der Kontaktpersonen und Reisen nach Brüssel zu Frau Schlussel sowie nach London zu Frau Shindel.

Das größte Erlebnis war für mich ein Schüleraustausch nach Israel. Aus diesem wuchs eine Freundschaft zu vielen Jugendlichen in Ness Ziona, so dass ich ein halbes Jahr später erneut nach Israel flog.

Der Friedhof ist für mich nicht nur ein platz mit Grabsteinen, sondern ein Ort, der mich an Freundschaften, Geschichten, Schicksale, schweisstreibende Arbeit (besonders im Herbst, wenn das Laub fällt!) und Verantwortung erinnert. Ich hoffe, dass die Arbeitsgemeinschaft Jüdischer Friedhof  in Zukunft viele Helfer und Freunde findet und somit erhalten bleibt.

 

Miriam R. (Klasse 10)

Ich bin sehr geschichtsinteressiert und von Erzählungen und von meinem Lehrer wusste ich von der AG. Als ich an einem Samstag meinen Onkel besuchen ging, er wohnt in der Vereinsstraße, dachte ich, ich könnte mir den Friedhof einmal anschauen. Ich wusste nicht genau, wo dieser war, also fragte ich die vorübergehenden Leute und sie wiesen mir den Weg. Ich kann mich nicht erinnern, was ich dachte, welche Erwartungen ich hatte, aber eins kann ich

sagen: Was ich sah, erstaunte und überraschte mich sehr. Ich stand vor dem Tor des alten jüdischen Friedhofs, es war verschlossen. Ich schaute durch die Gitterstäbe und sah wunderschöne alte Bäume und unter diesen Bäumen waren alte Grabsteine, kunstvoll behauene Steine, die zum Gedenken der jüdischen Menschen, die in Solingen einmal lebten, dort stehen. Es war ein ganz besonderer Moment für mich.

Ich hob einen Stein, der am Wegrand lag, auf und legte ihn auf den Davidstern, der am Tor des Friedhofs angebracht ist. Bewegt ging ich nach Hause und am nächsten Tag ging ich zum Leiter der AG, Herrn Sandmöller, und sagte, dass ich der AG gerne beitreten würde.

Jetzt bin ich seit einem Jahr in der AG und es macht mir Spaß, die alten Grabsteine zu pflegen. Ein Grabstein ist mir besonders ans Herz gewachsen.

Ich weiß nicht, von wem er ist, denn er ist verwittert, dass man den Namen nicht mehr lesen kann. Trotzdem versuche ich immer ihn von dem Moos zu befreien –

Das Datum der Geburt dieser Person kann man wieder erkennen.

 

Thomas M. (Klasse 12)

Die Teilnahme an der Arbeitsgemeinschaft Jüdischer Friedhof ist ein zeichen dafür, dass mich die Geschichte des Judentums in Deutschland interessiert. Wenn ich dazu beitrage, den Friedhof zu erhalten, weiß ich, dass ich etwas Gutes tue. Außerdem macht mir das Arbeiten in der Gruppe einfach Spaß.

 

Simon S. (Klasse 12)

Meine Mitarbeit in der Arbeitsgemeinschaft Jüdischer Friedhof ist Ausdruck dafür, dass mich die Geschichte der Juden in Deutschland interessiert und vielleicht habe ich auch das innere Gefühl etwas wiedergutmachen zu wollen.

Meine Korrespondenz mit einer vertriebenen Jüdin und das Arbeiten auf dem Friedhof helfen mir zu zeigen, dass wir den Holocaust nicht vergessen dürfen und gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit angehen müssen.

 

Susanne R. (Klasse 12)

Ende 1996 bin ich Mitglied der AG Jüdischer Friedhof geworden. Meine beiden älteren Schwestern nahmen schon seit einiger Zeit an der AG teil. Neugierig geworden von ihren Erzählungen, aber doch ohne konkrete Vorstellungen, beschloss ich die Arbeit der AG näher kennenzulernen. Den Ausschlag der AG beizutreten, gab mein erster Besuch des jüdischen Friedhofs am Estherweg. Bis dahin kannte ich nur christliche Friedhöfe und verband mit ihnen Unruhe und farbenprächtige, schon beinahe kitschige Pflanzenvielfalt. Ich ging davon aus, jüdische Friedhöfe seine genauso und war erstaunt einen so ruhigen, von überlegener Schlichtheit erfüllten Friedhof vorzufinden. Tief bewegt stand ich in der Mitte des Friedhofs und beobachtete ein kleines Eichhörnchen, das einen Baum hochkletterte. In diesem Moment dachte ich nur, dass dies der schönste,

friedvollste Ort auf Erden sei. In mir empfand ich einen Frieden, wie selten zuvor und selten danach. Auch al ich mich geschichtlich und politisch weiterbildete, mehr über den Holocaust erfuhr, vergaß ich nie das Bild dieser friedvollen Verbindung von Natur und Mensch auf dem Friedhof am Estherweg.

Primär verbinde ich mit der AG aber andere Bilder: meinen Briefkontakt mit Frau Shindel in England, den Mahngang zum 60. Jahrestag der Pogromnacht, den Israel-Austausch und vieles mehr. Alle diese Bilder erinnern mich immer wieder daran, dass die schlimmste Menschheitstragödie “Vergessen“ heißt.

 

David K.(Klasse 7)

Ich bin in der AG Jüdischer Friedhof, weil ich schon viel über die Judenverfolgung gehört habe und jetzt noch mehr erfahren möchte.

Die Arbeit auf dem Friedhof macht außerdem noch Spaß und hilft gleichzeitig den Friedhof zu erhalten.

 

Sven H. (Klasse 6)

Ich bin in der AG, weil ich mehr über das Leben und die Geschichte der Juden lernen möchte.

 

Kassandra W. (Klasse 6)

Ich bin gerne in der AG, weil ich die Gartenarbeit mag und weil ich den Friedhof sehr interessant finde.

 

Roger S. (Klasse 11)

Ich bin in der AG tätig, weil ich mich für das Leben der jüdischen Bevölkerung interessiere und mehr über die Geschehnisse zur Zeit des Nationalsozialismus

Erfahren möchte. Ich denke, dass ich mit der Pflege des Friedhofs einiges gut machen und sein Erbe schützen und bewahren kann. Außerdem macht es mir Spaß in der AG neue Freundschaften zu knüpfen und Erfahrungen im Bereich der Landschaftsgestaltung zu sammeln.

 

Max S. (Klasse 9)

Ich habe mit meinem Freund schon viele AGs ausprobiert und bin jetzt schon zum zweiten Mal der AG Jüdischer Friedhof beigetreten, weil es mir Spaß macht, an der frischen Luft zu arbeiten. Außerdem erfahre ich so mehr über die Geschichte jüdischen Lebens in Solingen.

 

Kevin G. (Klasse 9)

In der AG kann ich nette Menschen treffen und ich lerne etwas über die Geschichte der Solinger Juden. Außerdem arbeite ich gerne an der frischen Luft.

 

Pascal W. (Klasse 11)

Ich engagiere mich in der AG Jüdischer Friedhof, weil ich mit 12 Jahren den Film

„Das Tagebuch der Anne Frank“ gelesen habe, welches eine Veränderung in mir ausgelöst hat. Seit diesem Moment interessiere ich mich noch mehr für die Geschichte und für das Thema Juden in Deutschland.

Obwohl wir nicht die Generation sind, die etwas für die brutalen, unbeschreiblich schrecklichen und teuflischen Taten der Nazi-Deutschen kann, geschahen diese Taten dennoch im Namen der Deutschen. Dies gibt mir die Motivation mich in der AG und auf dem Friedhof zu engagieren, damit nicht in Vergessenheit gerät, was in Deutschland geschah.

Vor allem bedeutet die Mitarbeit in der AG ja nicht nur Arbeit auf dem Friedhof, sondern man kommt zudem auch mit Überlebenden und deren Angehörigen in Kontakt. Speziell durch den Schüleraustausch Ness Ziona – Solingen 2008 kam ich persönlich mit Überlebenden des Holocaust in Kontakt, diese Erfahrungen schockten mich, obwohl ich schon viel zum Thema gelesen und bereits einige Konzentrationslager besucht hatte.

Ich halte diese AG für sehr wichtig, um nicht zu vergessen, was für Schreckliches und Unmenschliches in Deutschland geschah und um nicht zu leugnen, dass es den Holocaust gab.

 

Annemarie K. (Klasse 12)

Mein Interesse hinsichtlich des Nationalsozialismus in Deutschland wurde erst relativ spät geweckt. Nie habe ich mich wirklich mit diesem Thema auseinandergesetzt, denn es fiel mir einfach unheimlich schwer. Möglicherweise war ich auch zu unreif, um mich mit diesen Grausamkeiten zu befassen. Natürlich hörte man so einiges über Nazi-Deutschland und all die teuflischen Taten, aber richtig intensiv habe ich mich erst im Alter von 13-14 Jahren damit auseinandergesetzt.

Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie wir im Geschichtsunterricht an meiner alten Schule ein Projekt begonnen haben, welches uns über den Nationalsozialismus aufklärte. Dieses Projekt umfasste mehrere Stationen, von Hitlers Machtübernahme bis hin zur Deportation der Juden und deren skrupelloser und schrecklicher Vernichtung. Noch nie ist mir etwas so nahe gekommen, wie die Fotos von Menschen sehen zu müssen, die bis auf ihre Knochen abgemagert oder schon ermordet waren. Nachdem ich mit einem Überlebenden des Holocaust sprechen durfte und auch im vergangenen Jahr in Auschwitz war, habe ich einfach für mich festgestellt, dass ich mich weiterhin mit dem Nationalsozialismus befassen möchte.

Zwar wusste ich, dass es einen jüdischen Friedhof in Solingen gibt, jedoch nicht, dass die Möglichkeit besteht, dass Jugendliche sich darum kümmern können und diesen pflegen können. Als ich schließlich von meinem Freund Genaueres über das Engagement der AG Jüdischer Friedhof der Gesamtschule erfahren habe, wollte ich mich dieser anschließen. Ich finde es einfach großartig, dass die AG den Friedhof und es nicht zulässt, dass Vergangenes in Vergessenheit gerät.

Ich fühle mich zudem auch wesentlich besser, wenn ich mich engagieren und zu etwas Positivem beitragen kann.

 

Tobias L. (Klasse 7)

Ich bin in der AG, weil es mir Spaß macht. Außerdem möchte ich auch, dass der Friedhof nicht verfällt, sondern erhalten bleibt.

Auszüge aus der Korrespondenz

 

Mit solchen oder ähnlichen Briefen wurde der Briefkontakt eröffnet

 

Unser erster Brief an Ilse Shindel

 

 

Solingen, den 30. 06. 1988

 

Sehr geehrte Frau Shindel!

 

Die Gesamtschule Solingen hat im vergangenen Jahr die Patenschaft für den mittlerweile geschlossenen jüdischen Friedhof am Erbenhäuschen übernommen.

In Absprache mit der jüdischen Kultusgemeinde Wuppertal besuchen wir – eine kleine Gruppe von Schülerinnen und Schülern (12-13 Jahre alt) – jede Woche den kleinen Friedhof, um die letzte Ruhestätte jüdischer Mitbürger zu hegen und zu pflegen.

 

In der Schule und auch im Elternhaus haben wir von dem unglaublichen Unrecht gehört, das auch den Juden in Solingen zugefügt wurde. Wir wollen dafür eintreten, dass nicht mehr Unverständnis und Hass, sondern Verständnis und Liebe unser Verhalten den Mitmenschen gegenüber bestimmen.

 

Wir haben im Stadtarchiv Solingen erfahren, dass Sie die Tochter der Eheleute Alexander und Helene Leven sind. Ebenfalls erfuhren wir, dass Ihre Verwandten aus Remscheid (Albert und Rosalie Leven) auf dem jüdischen Friedhof begraben sein müssten. Darum haben wir nachgeforscht und die vier Grabstätten auch gefunden. Wir wissen sonst gar nichts von Ihnen. Deshalb würden wir uns freuen, wenn Sie uns einige Mitteilungen übersenden, aber auch für ein kleines Lebenszeichen wären wir schon sehr dankbar.

 

Es grüßen sehr herzlich aus Ihrer Heimatstadt Solingen:

die Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Solingen

 

20. 07. 1988

Ilse Shindel, kurz vor Kriegsausbruch nach England entkommen, schreibt aus London:

Es gibt, glaube ich, keine Worte, die meine Gefühle ausdrücken können, aber zum mindesten kann ich sagen, dass ich tief gerührt war  und noch immer bin über den Inhalt des Briefes….  Sie haben mir mit Ihren Zeilen den Glauben an die Menschen wiedergegeben.“

 

07. 09. 1988

Eva Schaalmann, als 10-jähriges Mädchen mit den Eltern nach Brasilien emigriert, schreibt aus Sao Paulo:

„Dein Brief, liebe Anja, hat mich sehr geruehrt, und ich freue mich  an Eurem Interesse (…) Als wir im Jahre 1936 Deutschland verlassen mussten, fiel meinen Eltern Karl und Erna Isaac und meinem kleinen damals 6jaehrigen Bruder, und vor allem mir, einem damals 10jaehrigen Mädelchen,  das schon alt genug war, um zu wissen, was so ein Abschied bedeutet, die Trennung von meinen Freundinnen, der Abschied aus Deutschland, meiner Schule und meinen Mitschuelerinnen, die eine reizende Abschiedsfeier für mich machten, sehr schwer.“

14. 02. 1989

Karola Schlussel, Enkelin von Jenny und Georg Giesenow, während des Krieges verborgen lebend, schreibt aus Brüssel:

„Ich war sehr gerührt, als ich Ihren und den Brief von Juliane H. las, in dem Sie schreiben, dass Sie sich jetzt um den jüdischen Friedhof kümmern wollen, um die Grabstätten sauber zu halten. (…) Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie Blumen pflanzen wollen, …“

 

30. 05. 1989

Sela Trau, geb. 1898 in Solingen, dem Holocaust durch Emigration in den 30er Jahren entkommen, schreibt von der Insel Tasmanien:

Bitte laß mich herzlichst danken für Deine wohlwollende Haltung und Euer Vorhaben. Ich bin sehr dankbar dafür, daß ein solch persönliches Experiment realisiert wurde, dass da einer ist, der einen Teil meines Lebens mit mir teilt und den Glauben an die Möglichkeit einer besseren Welt.“

 

01. 09. 1989

Hans Hellmut Reiche, Urenkel des Solinger Ehrenbürgers Gustav Coppel, schreibt aus Hilden

Bedanken wollen wir uns für die mit viel Liebe, Verständnis und letztlich auch Zeit und Arbeit verbundene Aufgabe Ihrer AG, die Pflege des jüdischen Friedhofs in Solingen zu übernehmen. Eine Tatsache, die uns Älteren und Betroffenen gar nicht so selbstverständlich scheint. Vielleicht erfreut sie uns deshalb umsomehr. (…) Und welch schöner Leitsatz steht über Ihrer Arbeit bzw. der der AG, Worte, die uns hoffen lassen. Mögen sie nicht im Winde verwehen, sondern Widerhall finden!“

 

23. 04. 1990

Ursula Hirschberger, geb. Coppel, eine Urenkelin des Ehrenbürgers Gustav Coppel, emigrierte im Jahre 1934 als kleines Mädchen mit ihren Eltern in die Schweiz. Sie schreibt aus München:

Seit einem Jahr weiß ich von der AG, die den jüdischen Friedhof in Solingen pflegt. Die Nachricht von dieser schönen Geste hat mich aufs tiefste berührt und sehr gefreut. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie wunderbar es ist zu hören, daß gerade junge Menschen sich zu solchen Initiativen bereitfinden…. Grüßen Sie all die fleißigen jungen Menschen von der AG herzlichst von mir; sagen Sie ihnen meine Achtung und Bewunderung für ihr Tun. Diese Gesinnung wärmt das Herz… .“

12. 02. 1992

Hanna Wechselblatt, geb. Feist, als kleines Mädchen mit den Eltern nach Schweden emigriert, schreibt aus Stockholm:

„Es ist erfreulich, dass es junge Leute gibt, die Ideale haben. (…)  Man sagt, daß jeder Mensch ist eine ganze Welt. Wer einen Menschen tötet, zerstört eine ganze Welt. Aber auch, wer einen Menschen rettet, rettet auch eine ganze Welt. Die Teilnehmer Ihrer AG, weil nicht geboren, konnten in den schrecklichen Jahren der Vergangenheit niemanden retten, dafür tun sie es jetzt: Sie retten in Ehre das Andenken ihrer verstorbenen Mitbürger. Und was Edleres kann man sich kaum vorstellen.“

 

12. 01. 1994

Carl-Anton Reiche, Urenkel des Solinger Ehrenbürgers Gustav Coppel, zu seiner Emigration befragt, schreibt aus North Carolina, USA:

„Mein Bruder und ich erhielten in Frankfurt/M. als Nazi-Verfolgte bevorzugt Einreise-Visen und verließen Bremerhaven auf einem ausrangierten US-Truppentransporter, sehr primitiv, landeten am 23. 5. 1946 in New York. Als erstes Schiff, das mit Zivilisten die USA nach dem Krieg erreichte, wurden wir von dem berühmten Oberbürgermeister Fiorello La Guardia empfangen.”

 

 

Auszeichnungen

15. 06. 1989

Ein fiktives Interview mit Ilse Shindel auf Tonband gesprochen – eine Gemeinschaftsproduktion der AG – wird im Rahmen des Schülerwettbewerbs 1988/89

“Wir Deutschen und unsere östlichen Nachbarn“ prämiert: Urkunde und 70,- DM

 

03. 02. 1997

Hauptpreis beim Schülerwettbewerb!

Unter 4361 Arbeiten ist der für den 26. Schülerwettbewerb zur politischen Bildung von der AG eingereichte Beitrag “Jüdische Spuren in unserer Region“

mit einem Geldpreis in der Höhe von 300,- DM prämiert worden.

In der von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Presse-

Erklärung heißt es:

„Mit einem Geldpreis in der Höhe von 300,- DM wurde die Arbeit mit dem Thema ’Jüdische Spuren in unserer Region’ prämiert. Die sehr gute und klar gegliederte Arbeit, die professionell und trotzdem schülergemäß dargestellt wurde, beeindruckte die Jury.“

 

19. 06. 2000

Bundespreis für die AG!

Bei dem von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) ausgeschriebenen Wettbewerb 2000 “Solidarität der Generationen“ wird das Projekt “AG Jüdischer Friedhof“ der Gesamtschule Solingen mit dem dritten Preis ausgezeichnet. Die Auszeichnung ist mit einer Zuwendung in Höhe von 1000,- DM verbunden.

Aus bundesweit 119 Bewerbern hat sich das Projekt „für seine beispielhaften Aktivitäten zum Miteinander der Generationen“ – so die Begründung in der Urkunde – bei der siebenköpfigen Jury aus Vertretern von Jugend- und Senioren-Organisationen, Sozialwissenschaftlern und Wirtschaftsexperten durchsetzen können.

 

29. 05. 2008

’Silberner Schuh’ für die AG Jüdischer Friedhof!

Der ’Silberne Schuh’ ist der Solinger Preis für Zivilcourage und steht für das mutige Eintreten für Minderheiten in unserer Gesellschaft. Er wird seit 2004 jedes Jahr am Gedenktag des Solinger Brandanschlags vom Bündnis für Toleranz und Zivilcourage vergeben.

In der Laudatio heißt es:

„Die AG der Gesamtschule Solingen wurde 1988 unter der Leitung von dem Lehrer Wilhelm Bramann ins Leben gerufen und ab August 1990 übernahm der jetzt immer noch verantwortliche Lehrer, Michael Sandmöller, die Leitung.

Nachfolgende Arbeitsschwerpunkte wurden festgelegt:

>Pflegearbeiten des jüdischen Friedhofs am Estherweg

>Korrespondenz mit emigrierten Solinger Juden

>Beschäftigung mit dem Thema ’Juden und Deutschland’- und seit 1994

>Schulpartnerschaft und Schüleraustausch mit der Junior High School

“Menachem Begin“ in Ness Ziona, Solingens Partnerstadt in Israel

Seit über 20 Jahren wurden diese Punkte bis heute von über 200 Schülern aller Altersstufen mit bemerkenswertem Einsatz und erstaunlicher Begeisterung durchgeführt. Von Schülern, die einer ganz anderen Generation angehören als die der nationalsozialistischen Verbrecher. Hier ist nicht Reue die Triebfeder, sondern das Handeln nach dem selbstgewählten Motto: „Wir wollen dafür eintreten, dass nicht mehr Unverständnis und Hass, sondern Verständnis und Liebe unser Verhalten den Mitmenschen gegenüber bestimmen.“

 

 

Führungen

Im Jahr 2012 werden zwei öffentliche Führungen angeboten:

Sonntag, 03. Juni           11.00 Uhr    M. Sandmöller

Sonntag, 23. September  11.00 Uhr    M. Sandmöller

Weitere Führungen (Schulklassen, Gruppen, …) können vereinbart werden mit:

der Gesamtschule Solingen (599840 oder Michael Sandmöller (331336)

 

 

Literatur

Solinger Geschichtswerkstatt – Manfred Krause (Hg.): „…dass ich die Stätte des Glückes vor meinem Tode verlassen müsste“ – Beiträge zur Geschichte jüdischen Lebens in Solingen. Solingen 2000

Michael Brocke: Der jüdische Friedhof in Solingen – Eine Dokumentation in Wort und Bild. Mit einem Beitrag zur Geschichte der Juden in Solingen von Wilhelm Bramann. Solingen 1996

Wilhelm Bramann: Coppel – Geschichte einer jüdischen Familie in Solingen. Solingen 1994

 

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